Mittwoch, 1. Dezember 2010

18.08.2011: Pamplona

6. Reise/21. Tag

Das Casa Paderborn, 07:15 Uhr
Als ich aufwache, scheint mir der Morgen dunkler als all die anderen davor. Und trüber, kühler, als läge Nebel über Pamplona.

Ich versuche, alles so zu machen wie jeden Morgen. Rucksack packen, frühstücken. Aber ich gehöre schon nicht mehr dazu. Ihr seid jetzt schon so weit weg von mir, denke ich. Reden will ich nicht mehr. Es ist alles gesagt. Ich fühle mich wie im Publikum eines großen Theaters. Ich kann nur noch beobachten, was passiert. Es zerreißt mir das Herz, den Weg hier und jetzt verlassen zu müssen. Und der Kloß in meinem Hals wächst.

Ich halte es im Casa Paderborn nicht mehr aus. Draußen kann ich wenigstens atmen. Ein Pilger nach dem anderen verlässt das Haus und macht sich auf den Weg. Schweigend umarme ich Pierre, dann Martin. Hey, macht euer Ding. Und passt gut auf euch auf.

Irgendwann schleiche ich verloren durch Pamplona, sitze stundenlang im Busbahnhof, ohne zu merken, wie die Zeit vergeht. Es ist genug. Ich muss hier weg.

Es geht mir erst besser, als ich im Bus sitze und über die Pyrenäen zurück nach St.-Jean-Pied-de-Port fahre. Als ich dort ankomme, ist es ein bisschen wie nach Hause kommen. Bei Jacques werde ich wieder herzlich aufgenommen. Es tut gut, diesen Abend noch hier zu sein.

Soundtrack of the day: Fink - Perfect Darkness


13.08.2011: Ostabat - St.-Jean-Pied-de-Port (22,5 km)

6. Reise/16. Tag

Als ich von Ostabat am Morgen aufbreche, ist bereits zu spüren, dass sich der Nebel nicht lange halten wird. Und mit jedem kleinen Sonnenstrahl wächst meine Vorfreude. Ich kann es nicht benennen, nicht beschreiben, nicht erklären, aber jetzt nähere ich mich Schritt für Schritt St.-Jean-Pied-de-Port und es ist ein bisschen wie damals vor Le Puy. Irgendetwas packt mich, rührt mich, schmeißt mich in die Luft und fängt mich wieder auf: St.-Jean-Pied-de-Port!

In St.-Jean-le-Vieux ist die Sonne unwiderruflich da und auf den letzten Kilometern sind kleine Schmetterlinge in meinem Bauch. Ich kann es kaum erwarten, durch dieses Tor zu gehen, das ich so oft auf Fotos gesehen habe. Und dann bin ich durch und plötzlich sind überall Menschen. Immer wieder ruft jemand von irgendwo meinen Namen, viele Pilger der letzten Tage sind schon hier, die Franzosen von Laressingle sind gar bereits wieder von Roncesvalles zurück. Im Trubel verstehe ich kaum, was sie mir zurufen. Ich winke nur – lasst mich erst einmal hier sein! Jedes Wort ist mir in diesen Minuten zuviel. Diese Augenblicke sind so kostbar für mich: Ankommen. Ich will mich einfach nur durch die Straßen treiben lassen, schauen und erleben und riechen und diesen unglaublichen Ort fühlen auf der Haut.

St.-Jean-Pied-de-Port
JA! Nach ein paar Minuten weiß ich es ganz genau: Hier werde ich meinen Platz finden. Für diesen einen verrückten Tag werde ich mich hier zuhause fühlen.  

Abends sitze ich mit Ursula und den Holländern in einer kleinen Seitengasse bei einem Glas Wein. Und dann liegt plötzlich doch noch ein bisschen Wehmut in der Luft. Für alle anderen wird der Weg hier enden. Über die Pyrenäen wird mich kein einziges vertrautes Gesicht mehr begleiten.  

Aber ich habe keine Lust, Trübsal zu blasen. Was für ein Privileg, hier noch weitergehen zu dürfen. Ich blicke von der Rue Citadelle den Berg hinauf und weiß ganz genau: Ich will es. Unbedingt.

Soundtrack of the day: Midlake - Small Mountain